Führung ist kein statisches Konzept. Sie verändert sich – immer im Wechselspiel mit technologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Wer heute verstehen will, was gute Führung ausmacht, sollte wissen, woher sie kommt. Denn viele unserer heutigen Führungsfehler sind tief in alten Denkmustern verwurzelt. Das stelle ich immer wieder in Unternehmen fest.
Ein kurzer Streifzug durch die Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie sehr sich unsere Arbeitswelt verändert hat und was Führungskräfte daraus lernen können.
Phase 1: Befehl und Gehorsam (1750–1850)
In der Zeit der ersten industriellen Revolution herrschten patriarchalische Strukturen. Der Fabrikbesitzer war das Oberhaupt, seine Mitarbeitenden reine Ausführende. Anweisung, Disziplin, Kontrolle war der Führungsstil. Mitspracherecht? Fehlanzeige. Es zählte nur: arbeiten, gehorchen, funktionieren.
➡ Fazit: Führung war autoritär. Mitarbeitende wurden nicht als denkende Menschen gesehen, sondern als „Hände“. In manchen Branchen, Unternehmen und Köpfen ist das auch heute noch der Ist-Zustand.
Phase 2: Wissenschaftliche Effizienz (1870–1914)
Mit dem Taylorismus kam in der zweiten industriellen Revolution Struktur in die Produktion. Arbeit wurde in kleinste Schritte zerlegt, analysiert und standardisiert. Führung bedeutete: planen, messen, optimieren. Die Trennung zwischen den „Denkenden“ (Manager) und „Ausführenden“ (Arbeiter) wurde manifestiert.
➡ Fazit: Effizienz war alles. Führung wurde zum Kontrollinstrument. Der Mensch war Mittel zum Zweck. Es war jedoch auch ein wertvoller Schritt zu erkennen, dass Arbeit in kleinere Schritte und Aufgaben zerlegt werden kann und je nachdem wie man sie organisiert, Effizienzvorteile entstehen können. Diese Phase durchlaufen besonders kleine und mittlere Unternehmen die wachsen und nun endlich mehr Ressourcen und Mitarbeiter zur Verfügung haben aber gleichzeitig auch mehr leisten müssen. Ist dir das selbst auch schon aufgefallen?
Phase 3: Der Mensch rückt ins Zentrum (1950–2000)
Spätestens in den 1970er Jahren wurde klar: Zufriedene Mitarbeitende leisten mehr. Human-Relations-Ansätze gewannen an Bedeutung. Teamarbeit, Motivation und Beteiligung hielten Einzug in Führungskonzepte der dritten industriellen Revolution. Gleichzeitig rückten IT-Kenntnisse und Projektmanagement als neue Kompetenzfelder ins Rampenlicht.
➡ Fazit: Führung begann, sich zu öffnen. Mitarbeitende wurden als soziale Wesen wahrgenommen – nicht mehr nur als Funktionseinheiten. Ganz klar, nachdem Prozesse und Aufgaben nicht mehr weiter optimiert werden konnten rückte der Faktor Mensch in den Vordergrund der Gleichung. Gleichzeitig entwickelte sich jedoch auch gesellschaftlich ein neues Bewusstsein und drängte zu mehr Eigenverantwortung und Sichtbarkeit.
Diese Phase ist auch heute in vielen Unternehmen erkennbar. Nur mit Blick auf Effizienz und Strukturen geraten Unternehmen an ihre Grenzen. Jetzt muss die Schwarmintelligenz aktiviert werden. In dieser Phase entsteht oft ein erstes Bewusstsein für die Notwendigkeit von Führungskräfteentwicklung, um mit der neuen Herausforderung umgehen zu können.
Phase 4: Agilität und Selbstorganisation (ab 2010)
Mit Digitalisierung, Remote Work, KI und Nachhaltigkeit bricht das klassische Führungsbild endgültig auf und wir gehen in die vierte industrielle Revolution über. Führung heute heißt: vernetzen, inspirieren, coachen. Unternehmen brauchen agile Strukturen, situative Entscheidungen und selbstorganisierte Teams. Führungskräfte sind nicht mehr Kontrolleure, sondern Möglichmacher.
➡ Fazit: Führung ist heute dynamisch, kommunikativ und zukunftsorientiert. Technologisches Verständnis und emotionale Intelligenz sind zentrale Kompetenzen. Diese Art der Führung benötigt ein völlig anderes Selbstbild und Verständnis für die Aufgaben einer Führungskraft. Hier haben Egoprobleme keinen Platz. Es muss größer gedacht werden. Es zeigt sich deutlich, dass Führung vom Tagesgeschäft losgelöst werden muss. Führungskräfte müssen sich Zeit nehmen zu führen und bewusster den Alltag wahrnehmen, um diese Herausforderungen meistern zu können.
Was wir daraus lernen können
Wer heute in Führung geht, steht auf den Schultern jahrhundertelanger Entwicklungen – mit allen Licht- und Schattenseiten. Wir dürfen anerkennen, dass jede Phase ihren Beitrag geleistet hat. Gleichzeitig zeigt der Rückblick aber auch eines sehr deutlich: Viele Führungsfehler von heute sind gar keine neuen Phänomene – sie sind Überbleibsel veralteter Menschenbilder und Organisationslogiken.
Noch immer wird Führung zu oft als Kontrolle verstanden, noch immer fehlt in vielen Unternehmen die Zeit zum echten Führen. Und noch immer verwechseln viele Führungskräfte „präsent sein“ mit „wirksam sein“.
Wenn wir in einer zunehmend komplexen und digitalen Arbeitswelt bestehen wollen, brauchen wir ein neues Selbstverständnis von Führung. Eines, das auf Vertrauen, Coaching, Vernetzung und echter Beteiligung basiert. Es ist an der Zeit, Führung nicht als Status, sondern als Verantwortung zu begreifen. Verantwortung dafür, Räume zu öffnen, in denen Mitarbeitende wachsen können. Verantwortung dafür, als Vorbild auch die eigene Haltung zu hinterfragen. Und Verantwortung dafür, das eigene Ego hinter dem gemeinsamen Ziel zurückzustellen.
Denn die Zukunft der Führung ist nicht hierarchisch – sie ist menschlich. Und genau darin liegt ihre größte Stärke.
Als Sparringspartner helfe ich Unternehmen und Führungskräfte die Entwicklungsschritte zu gehen, um das volle Potential zu entfalten.